Wie uns andere sehen:
Unsere Arbeit in Arequipa Peru, aus der Sicht einer Journalistin…
Nun endlich die Übersetzung des Artikels aus dem "El Pueblo", einer Arequipennischen
Tageszeitung.
Vielen Dank an Elisabeth Sutmöller, Arequipa
Lebenszeugnis einer Ausländerin, die Solidarität kultiviert
Eine Schweizer Dame ernährt die Bettler
Mitten zwischen Personen, die über die Strassen eilen, lacht sie mit ihnen und fragt sie nach ihrer
Gesundheit. Sie kommt aus der Schweiz, aber ist momentan in Arequipa und seit drei Wochen durchläuft sie die Strassen und sucht sie. Sie bringt ihnen Mittagessen zu dem Ort, wo sie um Almosen
bitten.
Autorin: Rossmery Puente de la Vega P.
Fotos: Miguel Zavala D.
Sie schreitet schnell voran auf der Suche nach Don Fabio, der 85 Jahre alt ist. Da sah ich sie. Am
vorhergehenden Tag kniete sie hin und unterhielt sich mit ihm, sie gab ihm Essen und Wasser. Als sie sich verabschiedete, umarmte sie ihn und er küsste ihr als Antwort die Hand. Die Geste
eines Herren gegenüber einer Dame. Sie heisst Caroline Minelli, kommt aus der Schweiz, von einem anderen Kontinent, nach Arequipa, um hier zu helfen.
Sie wird mit einer Touristin verwechselt und während sie durch die Strassen geht, werden ihr alle
möglichen Dienste angeboten (Essen, Ausflüge, Kunsthandwerke), aber sie ist die kleine Schwester der Bettler der Strasse – la hermanita – , so nennt man sie. Ihre blonden Haare glitzern unter
der Sonne. Die Farbe ihrer kleinen Augen passt zu ihrem grünen T-Shirt. Sie hat Jeans und Turnschuhe an. Von Montag bis Freitag geht sie mit zwei Taschen, in denen sie Essen und Wasser trägt,
ins Stadtzentrum.
Die Vorbeigehenden beobachten sie mit Befremdung. Eine Blonde, die mit alten Menschen in zerrissener
Kleidung spricht, ist etwas ganz Merkwürdiges auf den Strassen Arequipas.
Ihre Abuelitos (Kosewort für ältere Menschen), wie sie sie nennt, bleiben den ganzen Tag in der Ecke
eines Parkes, in der Nähe einer Kirche oder in einer Fussgängerzone. Sie empfangen sie mit Weichherzigkeit und Dankbarkeit. Sie antworten auf die natürliche Zuneigung, die sie ihnen
schenkt.
Heute ist Freitag. Der Himmel ist wolkenlos und in der Strasse plagt der Hunger. Das zeigt auch die
Beschwerde Doña Elenas, eine Frau, die mit ihrer Waage durch die Strasse läuft. „Sehr spät!“, beklagt sich Elena, Carolina lacht - das hatte sie schon unterwegs vorausgesagt: „Doña Elena wird
reklamieren, weil es später geworden ist“, sagte sie. Normalerweise ist sie schon ab 11 Uhr auf der Strasse.
Schnell gibt sie ihr das Essen und das Wasser. Elena - auf eigenen Wunsch - aus Angst vor
Familienangehörigen - von ihrer Beschützerin so getauft, beklagt sich darüber, dass das Parkieren der Autos in einer verbotenen Zone das Vorbeigehen der Fussgänger behindere.
Caroline braucht für jede Person Zeit, spricht mit ihnen über ihre Schmerzen und ihre
Gemütsverfassung. „Doña Aurelia, wie geht es Ihnen heute?“, fragt Caroline eine andere 65jährige Frau, die auf dem Boden sitzt und älter aussieht. Sie erzählt, dass ihr Sohn Enrique krank
sei, er habe Grippe und trinke viel. Die junge Schweizerin fasst ihre Hände und verspricht für ihn zu beten. „Danke, Hermanita“ antwortet Aurelia.
Es gibt Personen, die Caroline ermutigen weiterzumachen, und andere, die ihre Unterstützung
kritisieren: „Diese Leute wollen kein Essen, nur Geld“, sagen sie ihr. Aber sie antwortet mit einem Lächeln, denn sie sagt, dass sie gemerkt habe, dass es nicht so sei. „Es ist nicht das
Essen, sondern eine Person, die mit ihnen spricht und die sie sieht. Ich sehe diese Personen.“ Ihr Herz hat keine Worte für jene, die die Notleidenden weder sehen noch hören
wollen.
Sie erinnert sich daran, dass eine ältere Dame ihr sagte: „Warum bringst du mir das Essen, ich bin
doch gar nichts wert? „Ich musste fast weinen, so weh hat es mir getan, denn es gibt kein menschliches Wesen, das keinen Wert hat. Wir haben alle grossen Wert, wir sind alle kostbar“, sagt
sie.
Wir begleiteten sie zum Verteilen des Essens, das eine Freundin auswählt und vorbereitet. „Ich kann
kochen, aber ich mache es nicht gern, es ist nicht meine Gabe, meine Freundin hingegen macht es sehr gern.“ sagt sie. Freitag war der Tag des „Aji de Calabazas“ (Peruanisches Gericht), am
vorhergehenden Tag gab es Kartoffelgratin.
Während wir durch das Zentrum gingen, traf Caroline Patricio, einen gebückten Mann mit einer Tasche in
der Hand. Er ging mit Hilfe eines Stockes.
Er ist aus Hunter (ein Distrikt in Arequipa) und es war sein erster Tag auf den Strassen des
Stadtzentrums. Seine Frau ist erblindet und seine Kinder leben anderswo. Patricios Name steht nicht im Heft der Schweizerin, dem Heft mit den Namen jener Personen, die sie auf der Strasse
kennengelernt hat und die Hilfe brauchen.
„Entschuldigung, guten Tag. Mein Name
ist Caroline und ich habe Essen. Möchten sie eine Mahlzeit?“ fragte Caroline.
„Ja, Mamita“, antwortete
er.
„Diese hier sind von der Presse, sie
interviewen mich heute . Dürfen sie ein Foto von Ihnen machen?“ fragte sie. (Caroline bittet alle alten Menschen um Erlaubnis ein Foto machen zu dürfen.)
„Nein.“
„Ist in Ordnung!“
(....)
Patricio erlaubt sich einen Spass mit Caroline und sagt ihr, dass er 185 Jahre alt sei. Sie
beglückwünscht ihn, aber lächelnd kommt sofort die Antwort: „ Ich habe gesagt, dass ich mit 120 Jahren gern auf den Misti steigen möchte.“ Beide brechen in Gelächter aus. Dazu kommt das
Lachen eines Strassenverkäufers, der in der Nähe den Dialog gehört hat
„Sind Sie Tischler?“ fragte Caroline
auf einmal und er antwortete, dass er früher Tischlerei betrieb. „Ich habe gesehen, dass sein Finger kaputt ist“, sagte sie danach. „Don Patricio, ich bin von Montag bis Freitag hier, ich
werde sie suchen,“ sagte ihm Caroline. Er bedankte sich, sagte dass Gott sie segnen möge und lächelte.
„Die Presse begleitet mich, sie sind
vom „El Pueblo“. Sind Sie damit einverstanden, dass Fotos von uns gemacht werden oder möchten Sie keine Fotos?“ fragte sie Don Fabio, 85 Jahre alt, ein Mann des Glaubens, kommentierte
Caroline.
Eine andere Frau, die in einer Ecke der Strasse Santa Catalina sass, holte ihren Stock hervor, als sie
den Fotografen sah, der das Versprochene nicht erfüllte. „Ich will nicht, dass sie mein Vertrauen verlieren“, sagte Caroline.
DIE LIEBE BRACHTE SIE NACH AREQUIPA
Hingekniet, mit ausgestreckten Armen, sie umarmend, sich mit ihnen unterhaltend und lachend, das ist
eine tägliche Szene im Leben von Caroline, die 48 Jahre alt ist. Sie verliebte sich in einen Arequipeñer, den sie in der Schweiz kennenlernte. Sie hat drei Kinder, die 8, 14 und 21 Jahre alt
sind. Zwei von ihnen leben in Arequipa. Die dritte nicht. „Sie vermisst mich, aber sie ist glücklich, wenn ich glücklich bin“, sagt sie.
Caroline bekennt sich christlich, ihr Vater ist Atheist, ihre Mutter unschlüssig hinsichtlich der
Religion. „Ich will das, was Christus sagte, leben. Lieben. Uns selbst lieben, um den Nächsten zu lieben“, sagt sie. Ihre Eltern und ihre Schwester Michèle, ein französischer Name, leben in
der Schweiz. Ihr Name ist germanischer Herkunft, er wird einer ehrlichen, diskreten und kommunikativen Person gerecht.
Als Kind träumte sie zusammen mit ihrer Mutter davon, eine Herberge für 20 elternlose Kinder zu haben.
Sie erinnert sich daran, dass sie als junges Mädchen Schwierigkeiten hatte, mit älteren Personen zu sprechen. Gleich danach lacht sie und bemerkt, wie das Leben – oder Gott – wie sie oft
wiederholt – entschieden, dass es nun die „Älteren“ seien. „Wenn ich sie jetzt sehe, öffnet sich mein Herz. Und ich merke, dass ich ihnen helfen möchte, ihnen etwas Freude bringen, ein
Lachen, mit ihnen sprechen, und wenn sie es wünschen, mit ihnen beten“, es geht zu Herzen wie sie so spricht.
In der Schweiz arbeitete sie als Sprachenlehrerin (Spanisch, Englisch und Deutsch). Sie ist darin
Autodidaktin. Ausserdem unterrichtete sie in einem Gebiet, das der Physiotherapie hier in Peru ähnlich ist.
Vor drei Wochen begann sie mit ihrer Hilfe in der Stadt. Die wirtschaftlichen Ressourcen kommen von
einer Schweizer Familie, die für sie „ein Geschenk Gottes“ ist.
Sie gesteht, dass sie vorgesehen hatte, ihr Werk in einem Haus zu beginnen, aber die Kosten eines
Grundstückes in der Stadt sind sehr hoch. So entschied sie sich, ihre Arbeit in der Strasse zu beginnen. „Gott leitet unsere Schritte“, erwähnt sie.
Die Kommunikation Carolines mit den alten Leuten basiert auf Lächeln, Umarmungen und Küssen. „Manchmal
verstehe ich sie nicht so richtig, denn es ist nicht meine Sprache und sie reden sehr schnell, aber ich strenge mich an sie zu verstehen“, sagt sie.
Caroline möchte die Hilfe verbessern und hofft, dass andere sich ihr anschliessen. „Wir wollen ihnen nicht nur Fisch geben, sondern ihnen beibringen zu fischen, sagt sie. „Was ist dein Traum?“ frage ich. „Ich möchte den alten Menschen helfen, damit sie etwas machen können oder wenn sie es wünschen, ihrer Arbeit weiter nachgehen können. Wenn man ihnen das wegnimmt, welchen Sinn hat dann das Leben?“.
Eine Ausländerin geht durch die Strassen der Weissen Stadt, verschwendet Zuneigung an die Bettler der Strasse. Ein Lebenszeugnis über das es sich Gedanken zu machen lohnt.
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